Unter #AdventAutoren gibt/gab es bei FB einen literarischen Adventskalender. Täglich wurde eine neue, 500 Wörter umfassende, Story präsentiert. Ich war am 16. Dezember mit meinem Text "Bewerbungsgespräch" dran.
An dieser Stelle poste ich die längere Version.
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Herr äh… Tonttu?
Geht es so besser?
Schön. Ok, Herr Tonttu… Niels Tonttu. Ein ungewöhnlicher Name hierzulande. Woher kommen Sie?
Na schön! Ich finde, Sie sollen wissen, was Sie erwartet: Schichtarbeit, acht Stunden, dazu kommen die Fahrten zwischen Unterkunft und Arbeitsplatz jeden Tag. Sie können keinen Einfluss darauf nehmen, ob Sie Früh- oder Spätschicht arbeiten.
Dann darf ich gratulieren – Sie haben den Job.
An dieser Stelle poste ich die längere Version.
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Bewerbungsgespräch
Ein Flur mit weißen Trockenbauwänden. An einer Wand Klappstühle,
besetzt mit Wartenden. Ihnen gegenüber verschlossene Türen. Eine öffnet sich,
ein Mann im dunklen Anzug kommt heraus, blickt auf sein Klemmbrett, dann auf
die Wartenden.
Herr äh… Tonttu?
Ja, hier.
Ah ja… gut, kommen Sie bitte.
Der Angesprochene steht auf und folgt dem Anzugträger in dessen Raum.
Setzen Sie sich – oh, warten Sie…
Der Anzugträger nimmt zwei Aktenordner aus dem Regal und legt sie
übereinander auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Geht es so besser?
Ja, danke.
Herr Tonttu setzt sich auf die Ordner. Der Anzugträger setzt sich in
den Chefsessel hinter den Schreibtisch.
Schön. Ok, Herr Tonttu… Niels Tonttu. Ein ungewöhnlicher Name hierzulande. Woher kommen Sie?
Aus dem Norden.
Ah ja, von wo genau? –
Ostfriesland oder Skandinavien?
Eher Skandinavien…
Na gut. Mein Name ist übrigens
Meyer. Ich bin einer der Personaler hier am Standort.
Freut mich.
Ok, dann fangen wir mal an. –
Haben Sie schon einmal im Bereich Logistik gearbeitet? Denn ganz ehrlich, Sie
sehen mir nicht so aus, als wären Sie dazu geeignet.
Mein Aussehen täuscht vielleicht.
Ich war einer der besten. Fast mein ganzes Leben lang habe ich bei einem großen
Traditionsunternehmen gearbeitet. Dort war ich zuerst im Bereich Fertigung
tätig, dann im Lager.
Das hört sich gut an, Herr
Tonttu. Weshalb bewerben Sie sich jetzt hier bei uns als Packer?
In den letzten Jahren wurde es
immer schwieriger für meinen Chef, mit den Anforderungen, denen die Branche
ausgeliefert ist, zurechtzukommen. Die firmeninternen Abläufe waren nicht mehr
zeitgemäß, allein das Umtauschrecht hat zahllose Beschäftigte in den Burnout
getrieben. Die Leute wünschen sich ein Produkt, erhalten es, wollen es dann
doch nicht haben und schicken es auf Kosten der Firma zurück. Was soll mit all
den umsonst hergestellten Dingen passieren? Die Unternehmensleitung hat dafür
noch keine Lösung gefunden. Die Lagerhallen sind voll mit wertlosem Tand.
Zuletzt hatte ich das Gefühl, ich arbeite vergeblich. Ich erhoffe mir durch den
Wechsel des Arbeitsplatzes, dass die Tätigkeit bei Ihnen meinem Leben wieder
Sinn verleiht.
Herr Meyer muss lachen.
Na schön! Ich finde, Sie sollen wissen, was Sie erwartet: Schichtarbeit, acht Stunden, dazu kommen die Fahrten zwischen Unterkunft und Arbeitsplatz jeden Tag. Sie können keinen Einfluss darauf nehmen, ob Sie Früh- oder Spätschicht arbeiten.
Acht Stunden pro Tag arbeiten?
Wie soll ich denn den Rest des Tages verbringen?
Das bleibt Ihnen überlassen.
Schlafen, etwas essen, ein Buch lesen oder so. Fernseher gibt es in der
Unterkunft aber nicht. Ach ja, ein eigenes Zimmer können wir Ihnen auch nicht
zahlen.
Das ist kein Problem für mich.
Früher habe ich auch mit meinen Kollegen zusammen gewohnt. Wir haben uns mit
Schlafen abgewechselt.
Dann kennen Sie das ja schon,
Herr Tonttu. Noch etwas: Sie bekommen alle vierzehn Tage einen Tag frei. Sie
wissen ja, es ist viel zu tun in der Weihnachtszeit.
Das müssen Sie mir nicht sagen.
Das bedeutet auch, dass die
Pakete korrekt und schnell verpackt werden müssen. Sollten Sie Ihre Arbeit zu
langsam erledigen, werden Sie von den Aufsehern ermahnt. Und sollte das nochmal
vorkommen, sind Sie den Job los.
Kein Problem. Mein früherer Chef
hat uns auch immer angebrüllt, wenn wir zu langsam waren. Er hatte ja auch
Recht. Die Deadline lässt sich beim besten Willen nicht verschieben.
Was Sie sagen, Herr Tonttu,
gefällt mir. Ihre Einstellung passt ziemlich gut zu unserer Firmenpolitik,
welche die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt stellt. – Nun zur
Bezahlung: Wir zahlen den Mindestlohn.
Mindestlohn? Das glaube ich
nicht!
Nun, wenn Ihnen das nicht
attraktiv genug erscheint, müssen Sie sich woanders umsehen, fürchte ich…
Nein, das ist toll! Ich freue
mich nur. In meinem alten Job habe ich nur für Kost und Logis gearbeitet!
Mindestlohn – wow! – Der erste Wichtel, der bezahlt wird…
Wie bitte?
Was?
Herr Meyer lehnt sich staunend im Sessel zurück und sieht Herrn Tonttu
lächelnd an.
Dann darf ich gratulieren – Sie haben den Job.
Der Personaler tritt vor den
Schreibtisch und schüttelt dem neuen Mitarbeiter die kleine Hand.
Und die Moral des Dialogs: Was
für manche ist prekär, wünschen andere sich sehr.
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