Elbenwinter
Das war der letzte der
Wälder,
in welchem sie wandelten.
Abschiedsflimmern erfüllte
seine Lüfte.
Nebelbänder zogen träge
um Nadeln, Äste und Stämme.
Und Sprache des Vergehens
drang
durch die Waldessphäre:
sterbende Worte, gesprochen
von gefallenen Blättern,
legten sich nieder auf die
Erde
und wurden Eis.
Frostige Stacheln glichen
Türmen an den dünnen Ästen,
sich aufbauend in die
hüllende Kälte.
Schneekristalle rieselten,
schmückten graubraunes Blatt,
Nebel und immergrüne Nadel.
Des Einen ewig Sang,
das Tosen von Wassern,
war hier verstummt,
und kalt und klar standen
Wasserfälle.
Starr und hell erstarkte
die winterliche Schönheit
im fahlen Schein der fernen
Sonne:
hier war sie monden nahezu.
Und weinend war der Wald
ob des Wandels der Welt.
Hoher Schnee lag auf eisig
Erde
und frierend Gras, um alte
Rinden,
und auf einer Lichtung,
umrundet vom alten Wald,
standen sie –
im letzten Sonnenschein.
Und die Schritte dieser, die
nun gingen,
versanken nicht im tiefen
Weiß,
waren unsichtbar,
unhörbar und im Vergessen.
Voller Trauer und Vergehen
waren sie,
wie Blätter, entzweit mit
nährend Wurzeln;
wie der aufgehende Mond,
des einst’gen Lichtes letztes
Blatt,
waren nun fern sie von ihrem
Heim,
und wie jenes,
so weinten auch sie.
Unter hölzernen Säulen
schritten sie,
in waldener Halle,
graubraunes Zwielicht umfing
alles Eisgeschmückte,
und durch die Vergehenden
drang es
wie ein durchschauender
Blick.
Eine blieb und gab das Licht
zurück,
war blauweiß und strahlend.
Mit ihr war er,
unter ihnen fiel tief das
Eis,
und sie hielten sich,
sahen sich in Augen
voller Wasser, Tiefe und
Milde;
Liebe gebend,
Abschied seiend,
Sehnsucht werdend,
und Nebel umschloss sie.
Zeit und Ferne zerrten an
ihm;
sein Mantel flatterte im Wind
gen Westen, zog seine
Schritte
von steinerner Brücke,
löste seine Hand von ihrer.
Doch ihr Gewand hing still
herab;
der Wind zerrte an ihr nicht,
wissend, dass sie blieb.
Sterne aus Schnee und Eis
fielen in ihr Haar,
bewahrt vom fahlen, kalten
Mond.
Sie war die letzte ihres
Volkes,
die wurzelte im Waldesboden,
die sang wie Lerche und
Nachtigall,
die tanzte wie Regen und
Blatt.
Der zuvor umgebende Nebel
sank nun zwischen diese
beiden.
Ihrer beider Liebe war es,
die sie einst verbunden.
Wurzellos schied er nun vom
Wald,
wie all’ die Anderen seiner
Art.
Ihr Schauen hing lange an
ihm,
durchdrang den Nebel,
doch bald war sein Licht
vergangen,
wie Zwielicht vom Schwarz
verdrängt.
In der Mitte der Nacht sangen
sie,
und ihre Stimmen waren voller
Ende:
O Flut der mächt’gen
Erdenstrahlen,
missen werden wir
deine Lichter,
geschaffen von Baum,
von Erd’ und Schnee.
Wandelnd waren wir
in grüner Welt,
priesen deinen Glanz;
nun kommt die Zeit,
dich zu verlassen,
da Schwärze droht.
Unser Gang beschert
uns ew’ges Glück,
doch stets schmerzt der
Trauer tiefer Stich
in den Herzen,
da wir geschwunden.
Sie blieb in waldener
Winternacht,
und diamantengleich wurden
ihre Tränen
im kalten Weiß.
Ihr Denken schuf Trauer und
Zweifel
im Angesicht der Einsamkeit,
die nun ewig sie begleiten
würde:
Hatte sie Recht getan, indem
sie blieb?
Es musste so sein, sprach sie
sich zu,
sie, der Elben letztes
Mädchen,
musste wachen und schützen
über Baum und Blatt und Tier.
Und kein Bild hatte sie vom
Ungewissen,
dem die Schwindenden entgegen
gingen,
und auch deshalb blieb sie
Teil des Waldes.
Feiner, glitzernder Schnee
fiel hernieder
von den Tannen auf die
Schwindenden,
einem göttlichen Segen
gleich.
Und als die Abschiedsnacht vergangen
war,
kamen mit dem neuen Morgen
jene,
die laut und dumpf
Schreitenden.
Gier und Besitztum blitzten
in ihren Augen;
mit Neid erschauten sie
die winterliche Schönheit und
Erhabenheit.
Ihre Hände brachen Eisäste,
ihr Blut sank in den Schnee.
Aus der Ferne – von Welt zu
Welt –
sah sie die Frevelnden in
ihrem Walde,
und sie verbarg sich im
Gewand
aus Schnee und Eis und Baum,
sehnte leise die
Geschwundenen herbei.
Doch sie kehrten nicht wieder
in die Welt,
und im langen, kargen
Elbenwinter
brach die Schwärze Licht und
Baum.
...ein älteres Gedicht aus 2003, überarbeitet 2015.
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