Eine alte Geschichte, die wir schon lange kennen: Ein Vater und sein Sohn, einander nicht bekannt, begegnen einander auf dem Schlachtfeld.
Der Vater, das ist Hildebrant; weitgereist ist er und erfahren im Handwerk des Krieges. Früh trat der Tod in sein Leben, und er lernte die Lieder von den Göttern, und später lehrte er sie Dietrich, dem er lange zur Seite stand. Schartig ist sein Schwert und faltig seine schlachtgegerbte Haut. Fest dringen seine Stiefel in den schlammigen Boden. Seine linke Hand hält mühelos den Schild, und die Schultern beugen sich noch nicht unter der Rüstung. Seine Augen leuchten von Mut und Trauer unter grauen, buschigen Brauen hervor. In leiser Ahnung mustert er sein Gegenüber.
Der Sohn, das ist Hadubrant; jung und kühn fliegt sein Schwert durch die Schlacht. Hochgewachsen ist er, und schön von Gestalt, wie einst sein Vater, doch den kennt er nicht, hat ihn nie gesehen. Lange kann er dem prüfenden Blick des anderen nicht widerstehen: Er schaut an Hildebrant vorbei, zum Feind, dann nach hinten, sich vergewissernd, zu seinen Männern. Zwei Heere stehen da, bereit für Tod und Ruhm; zweihundert Schritte liegen zwischen ihnen, und in der Mitte deren Anführer, die ihr Eisen zurechtrücken und ihre Pferde im Zaum halten. Das angespannte Schweigen wird durchbrochen vom Aufeinanderprallen des Metalls und vom Schnaufen der Tiere.
Der Vater zögert, wie nicht oft in seinem Leben. Quälend die Frage: Könnte er es sein? Er spürt die misstrauische Feindseligkeit des anderen; der Ungestüme könnte jeden Moment sein Schwert fassen und ihn erschlagen. Langsam schleicht die eigene Hand zum Schwert. Er muss ihm zuvorkommen, aber dann würde er womöglich seinen Sohn töten. Und wir wissen, dass er es tun wird, tun muss, wie ein dunkles Schicksal es ihm gebietet. Wer siegt, wenn der Vater den Sohn tötet? Zweimal hat Hadubrant seinen Vater verloren, und zweimal Hildebrant seinen Sohn.
Odin meint einen neuen Krieger für die letzte Schlacht nach der Ewigkeit gewonnen zu haben – weiß er doch noch nicht, dass die Götter einer Welt, in der ein Vater den Sohn tötet, nicht ewig bestehen können.
(c) HV
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